Der Bürgerkrieg ist Deutschland damals erspart worden. Aus heutiger Sicht stellt sich allerdings die Frage, ob es nicht das geringere Übel gewesen wäre, wenn die Arbeitnehmerbewegung von sich aus losgeschlagen hätte. Aber im nachhinein lässt es sich immer leicht reden. Sicher, Gewerkschaften und Eiserne front waren bereit zum Kampf, nur SPD- und Gewerkschaftsführung zögerten. Sie wollten einfach nicht das Leben so vieler Genossen und Polizeibeamter (die „rot“ preußische Polizei hätte sich sicherlich auf die Seite der Arbeiterbewegung gestellt), so vieler Familienväter aufs Spiel setzen, denn noch bestand wenigstens ein Fünkchen Hoffnung, der Kelch könne vielleicht doch noch einmal an Deutschland vorübergehen.
Doch nicht nur mit Fäusten setzte sich die Arbeiterbewegung gelegentlich den Nazis gegenüber zur wehr, auch mit dem Wort, mit Aufklärung und Propaganda wurde die NS-Bewegung bekämpft. Die Wahlkämpfe der SPD waren ein einziger Feldzug gegen den drohenden Faschismus. Die Themen der großen öffentlichen Versammlungen oder Kundgebungen hießen: „Der Volksbetrug der NSDAP“, „Der Irrwahn des Nationalsozialismus“ oder „Hitler, der Verbündete des Großkapitals“ usw. Die prominenten Redner kamen meist aus München (Wilhelm Hoegner) aus Bayreuth und sogar bis aus Wien.
Neben den großen Kundgebungen in den Kleinstädten, vor allem in Günzburg, musste die Partei zahllose Versammlungen in den kleinen Gemeinden abhalten, vor allen Dingen auch in den Nazi-Hochburgen, um zu retten, was zu retten war. Das Jahr 1932 mit seiner nicht abreißenden Kette von Wahlkämpfen verlangte von der Partei und ihren Funktionären einen ungeheuren Einsatz, ungeheure Opfer an zeit und Energie. Dafür war die SPD die einzige Partei im Landkreis, deren Wahlkämpfe sich neben denen der Nazis, die ein wahres Propagandatrommelfeuer entfachten, noch einigermaßen sehen lassen konnten. Während die NSDAP im Wahljahr 1932 50 Wahlversammlungen im Landkreis abhielt, brachte es die SPD immerhin noch auf 41, die BVP dagegen nur auf 18 und der Bauernbund sogar nur auf ganze 7 Wahlveranstaltungen.
Unter der Fülle der Argumente, mit denen die SPD-Redner den aufsteigenden Faschismus bekämpften, um ein weiteres Anwachsen der Hitlerbewegung zu verhindern, haben drei immer und immer wieder wiederholte Kernsätze zweifellos eine ganz zentrale Rolle gespielt: Der Hinweis auf Hitlers Verbindungen zum Großkapital, die Beschwörung der Diktaturgefahr und die Aufdeckung der Widersprüchlichkeit und Verlogenheit der nationalsozialistischen Versprechen.
Sobald bekannt wurde, dass Hitler Verbindungen zur Schwerindustrie aufgenommen hatte, und ganz beträchtliche finanzielle Unterstützung von dieser Seite bekam, musste es Aufgabe der SPD sein, diese Tatsache überall bekannt zu machen. Bis in den letzten Winkel der Arbeitersiedlungen musste diese Kunde dringen, damit auch der letzte Arbeiter wusste, was er von dieser Nationalsozialistischen „Arbeiterpartei“ zu halten hatte. Allein das Wissen über dieses Bündnis Hitlers mit der Schwerindustrie, mit dem Klassengegner, genügte, um der Masse der Arbeiter klarzumachen, dass diese Partei für sie selbstverständlich nicht wählbar war.
Obwohl die Nazis gar keinen Hehl daraus machten, dass sie das gegenwärtige „System“, die Republik, abschaffen wollten und dass sie einen „neuen Staat“ eine Diktatur errichten wollten, blieb es Aufgabe der SPD, vor dieser Diktatur zu warnen, die Menschen aufzurütteln und ihnen die Tragweite einer derartigen Änderung der Staatsform klarzumachen. Denn die meisten deutschen reagierten wie Biedermann auf die Brandstifter. Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird, mögen wohl die meisten gedacht haben. Heute wissen wir, dass die Wirklichkeit dann schlimmer wurde als die schlimmsten Alpträume. Zumindest bei der Arbeiterschaft stießen die Warnungen vor der Diktatur auf offene Ohren. Die organisierte Arbeiterschaft wusste schon 1931/32 sehr genau, was sie von einer Diktatur Hitlers erwarten konnte, nämlich den Verlust der seit Generationen erkämpften Rechte. Doch auch die Bauern und das Bürgertum mussten wachgerüttelt werden.
Auch das Bürgertum, mit seinem Stolz auf die deutsche Kultur, mit seinen politischen Traditionen, unter denen neben dem Konservatismus doch auch der Liberalismus einen ganz zentralen Platz innehatte, konnte doch keine Diktatur wollen! Doch alle Warnungen in dieser Richtung in den Wind gesprochen. Der bäuerliche und kleinstädtische Mittelstand scheint in seiner tiefen wirtschaftlichen Existenzkrise nur noch einen Gedanken gekannt zu haben: Heraus aus dem Schlamassel, heraus aus dem Chaos – egal wie! In dieser Paniksituation scheint der klare Blick voraus in die Zukunft einfach verlorengegangen zu sein. Doch auch hier sind überhebliche Besserwisserei und moralisierende Vorwürfe fehl am Platze. Auch hier gilt: hinterher ist leicht zu reden.