Übrigens kam es recht bald zum Streit zwischen dem "Bund Bayern und das Reich" und der NSDAP, und zwar nicht aufgrund örtlicher Differenzen, sondern vor dem Hintergrund nicht näher bekannter Vorgänge in München (im Zusammenhang mit dem dort stattgefundenen "Deutschen Turnfest"). Die Mitgliederversammlung der NSDAP-Ortsgruppe Günzburg beschloß daraufhin geschlossen den Austritt aus dem Bund, während der Vorsitzende der Ortsgruppe Günzburg des "Bundes Bayern und das Reich" seinerseits den Austritt aus der NSDAP erklärte. Dr. Quaglia bedauerte in seinem Bericht die dadurch eingetretene Schwächung des Bundes ganz außerordentlich. Die Reste des Bundes siechten noch eine Weile vor sich hin, verschwanden dann aber bald - ähnlich wie die ersten Bürgerwehrvereinigungen - endgültig in der Versenkung.
Führer der NSDAP-Ortsgruppe Günzburg war in dieser Zeit (1923) der Brandversicherungskommissär Pfaffenzeller, eher ein Außenseiter in der Günzburger Gesellschaft, doch waren schon damals auch eine Reihe angesehener Bürger Mitglieder und Funktionäre dieser Partei. Sogar eine eigene Zeitung, die "Notzeitung", mit stark antisemitischem Einschlag, wurde damals von der Günzburger Ortsgruppe herausgegeben. Sie mußte aber dann vom Bezirksamt wegen der in ihr enthaltenen staatsfeindlichen Tendenzen verboten werden, nachdem Malzfabrikant Küchle (Vorsitzender des "Bundes") den Bezirksamtmann, der zunächst den Dingen seinen lauf ließ, unmißverständlich auf seine Beamtenpflichten aufmerksam gemacht hatte, und sich bei der vorgesetzten Regierungsbehörde über das hiesige Bezirksamt beschwert hatte. Nach dem Verbot der NSDAP versuchte die Schutzabteilung (SA) eine Terrororganisation unter dem namen "Reichsbanner" aufzuziehen, die von dem Steuersupernumerar (Finanzbeamten) Engel geführt wurde. Obwohl die Satzung und vor allen dingen die Mitgliederliste keinen Zweifel daran ließen, dass es sich hier um eine Terrororganisation der NSDAP handelte, konnte sich das Bezirksamt erst nach einer sehr gründlichen Prüfung dazu entschließen, diesen neuen Verein zu verbieten. daraufhin verschwand die "nationalistische Bewegung" von der Bildfläche.
Doch nun, 1929, mit dem Beginn der großen Wirtschaftskrise, waren die Nazis wieder da. Und zwar stärker als je zuvor. Der in der Zwischenzeit nach Günzburg umgezogene Gutsverwalter, Beamter bei der Moorwirtsschaftsstelle, Hans Weber aus Lichtenau wurde zum Initiator einer neuen Ortsgruppengründung in Günzburg, die im Spätherbst 1929 zustande kam. gleichzeitig entstand auch in Burtenbach und in Röfingen eine Ortsgruppe. Ihren ersten großen Wahlerfolg erzielte die Partei bei den Reichstagswahlen im September 1930. Hier im Landkreis fiel das Ergebnis ganz ähnlich aus wie das der "Protestwahlen" im Mai 1924: Auch jetzt wurden wieder die Kleinstädte und die protestantischen Landgemeinden Burtenbach und Riedheim zu den Hochburgen der NSDAP. Aber auch in einigen katholischen Gemeinde konnte die Partei dieses Mal beachtliche Erfolge erzielen.
Dieser erste große Wahlerfolg hat die NSDAP sehr stark verändert. Sie bekam nun einen sehr starken Zulauf aus dem bäuerlichen und bürgerlichen Lager. Namhafte Meinungsführer (wie die Mitglieder der Bezirksbauernkammer und Bürgermeister Deininger von Burtenbach und Honold von Riedheim und die Vorsitzenden des örtlichen Handels- und Gewerbevereins von Günzburg und Burgau) schlossen sich der Bewegung an. Die NSDAP trat nun nicht mehr als radikale Protestpartei auf, die nur alles ablehnte und alles kritisierte, sondern sie versuchte sich nun als bäuerliche und mittelständische Interessenpartei zu profilieren. Mit den neuen Galionsfiguren an der Spitze, fiel es ihr nicht schwer, das Vertrauen vieler Bauern und Mittelständler zu gewinnen. Bei den Wahlen im Jahre 1932 konnte sie deshalb ihr Wahlergebnis noch einmal drastisch verbessern und auch eine Reihe von katholischen Bauerndörfer wurden nun zu Hochburgen der NSDAP, wie z.B. die Gemeinden Deffingen, Ebersbach, Glöttweng, Landensberg, Winterbach, Kleinbeuren, Goldbach usw.
All diese neu in die NSDAP eingetretenen Männer kann man, wenn man so will, als "gemäßigte Nationalsozialisten" bezeichnen. Sie waren weder krankhafte Antisemiten (was z.B. Bürgermeister Honold mit großem Mut auch nach der Machtergreifung deutlich unter Beweis stellte), noch waren sie fanatische Nationalisten oder Militaristen. Sie wollten eigentlich nichts anderes als die Interessen ihrer Stände, der Bauern und des kleinstädtischen Mittelstandes, durchsetzen und glaubten die mit Hilfe der NSDAP am effektivsten tun zu können. Vorzuwerfen ist ihnen nur, dass sie dabei ein Bündnis mit dem Teufel eingegangen sind. Man darf sich nie, und sei es aus noch so ehrenwerten Motiven, einer Partei anschließen, die nicht nach demokratischen Grundsätzen sondern nach dem Führerprinzip aufgebaut ist. in der die einfachen Mitglieder keinerlei Kontrolle mehr besitzen, was mit der Macht, wenn sie einmal errungen ist, geschieht.
Die gemäßigte Gruppe der Nationalsozialisten übernahm nach dem Tode Hans Webers (er kam bei einem Motorradunfall im Herbst 1932 ums Leben, unmittelbar nach einer großen Kundgebung in Günzburg mit Adolf Hitler als Hauptredner) die Macht in der NSDAP im Kreis Günzburg. Schon Hans Weber hatte die gemäßigten Kräfte gefördert und ihnen führende Positionen in der Partei zugeschanzt. Neuer Kreisleiter wurde der Gutsbesitzerssohn Georg Deisenhofer aus Waldkirch. Deisenhofer war bis 1930 Funktionär des Bauernbunds gewesen, also kein "alter Nazi". Erst das neue Amt hat ihn mit der Zeit zum fanatischen Nationalsozialisten gemacht. Er musste in seiner neuen Stellung auch auf die radikalen Kräfte in der Partei (die gab es natürlich nach wie vor!) Rücksicht nehmen, ganz abgesehen davon, dass er auch "von oben" einem starken Anpassungsdruck ausgesetzt war. Deisenhofer blieb bis zum bitteren Ende, bis zur Kapitulation 1945, in seinem Amt.
Aus dem bisher gesagten geht klar hervor, dass die NSDAP vor allem eine Partei für die Bauern und die Mittelständler war. Es ist ein altes Märchen, die NSDAP hätte ihre Wähler vor allen Dingen bei den Arbeitslosen gewonnen. Wäre dem so gewesen, dann hätten ihre Hochburgen im Deutschen reich in den Industriegebieten an der Ruhr oder in Schlesien usw. liegen müssen, oder im Landkreis Günzburg in den Arbeiterdörfern Bühl, Wasserburg, Denzingen, Oberknöringen usw. In Wirklichkeit lagen die NSDAP-Hochburgen aber in den protestantischen Agrargebieten Nord- und Ostdeutschlands, und im Landkreis Günzburg lagen sie in einigen Landgemeinden mit entsprechender Struktur. Nicht der Wählerstamm der SPD wurde dezimiert, sondern der Wählerstamm des Bauernbundes und der bürgerlichen Parteien (mit Ausnahme der BVP, die ihren Wählerstamm halten konnte) wurde bis auf ein Zehntel des Standes von 1928 aufgerieben. Man darf nicht vergessen, dass nicht nur die Arbeitslosen unter der Wirtschaftskrise zu leiden hatten, sondern auch die Bauern, Handwerker und Geschäftsleute, die wegen der schwindenden Kaufkraft der Konsumenten immer mehr Mühe hatten, ihre Erzeugnisse und Waren an den Mann zu bringen, ganz abgesehen davon, dass viele Mittelständler bei der Inflation 1923/24 ihr gesamtes Sparvermögen verloren hatten und viele Bauern schon vor der Wirtschaftskrise stark verschuldet waren. In dieser Existenzkrise glaubten viele, ihr Heil bei den Nazis suchen zu müssen, die mit großzügigen Versprechungen nicht gerade geizten.