Der große New Yorker Börsenkrach im Herbst 1929 bescherte nicht nur den USA, sondern der ganzen Welt eine Wirtschaftskrise bisher nicht gekannten Ausmaßes. Die Arbeitslosenzahlen schnellten in die Höhe. Nachdem schon in den Wintermonaten der "normalen Jahre" (1925-1928) die Zahlen immer die Zwei-Millonen-Grenze überschritten hatten, wuchs nun das Heer der Arbeitslosen im deutschen Reich auf über 6 Millionen. Mit der Krise kamen auch wieder die Nazis. Auch im Landkreis Günzburg.
Schon in den Krisen Jahren 1923 -1924, auf dem Höhepunkt der Inflation, hatten die Nazis eine erste Blütezeit erlebt. Die damals gegründete Ortsgruppe der NSDAP war -so berichtete der Bezirksamtmann - auf Initiative hiesiger Studenten (an der Universität München) zustande gekommen. Zur gleichen Zeit (1923) waren auch wieder, nun zum zweiten Mal, Bürgerwehren in den Kleinstädten gegründet worden. Diese schlossen sich im sogenannten "Bund Bayern und das reich" zusammen, der hier im Landkreis personell eng mit der NSDAP verknüpft war. Beide Organisationen, Bürgerwehr und NSDAP, waren in erster Linie gegen die Arbeiterbewegung gerichtet. Dem Bürgertum saß immer noch der Schock der Revolution in den Knochen. Hatten doch "die vom bach", so wurden damals und auch heute noch gelegentlich Arbeiter aus der Unterstadt etwas verächtlich von manchen Günzburger Bürgern bezeichnet, gewagt, gegen die örtlichen Honoratioren, gegen den Stadtmagistrat sich aufzulehnen - und war es ihnen nicht gar gelungen, durch ihren "Terror der Straße" die Bürgerschaft zu überrumpeln und einzuschüchtern, und so kampflos zu wietgehenden Zugeständnissen zu bewegen? Diese beschämende Niederlage musste ausgemerzt werden! Es war höchste Zeit, dass die organisierte Arbeiterschaft in ihre Schranken verwiesen wurde, dass diesem "frechen Auftreten" der Arbeiterschaft ein Ende bereitet wurde! So dachten damals nicht wenige Bürger, die sich "mit der neuen Zeit nicht abfinden wollten", die, wie Geiselhart es ausdrückte, "glaubten, dem Rad der Zeit in die Speichen fallen zu können". Auch der um den vaterländischen Geist dehr besorgte Bezirksamtmann Dr. Quaglia gehörte zu diesen Zeitgenossen. In seinem Bericht an die Regierung in Augsburg konnte er seine klammheimliche Freude über die Gründung der NSDAP Ortsgruppe Günzburg und deren angebliche "Wirkung auf die hiesige Sozialdemokratie" kaum verbergen.
"Bis heute haben sich Nachteile irgendwelcher Art aus der nationalsozialistischen Bewegung aus der Stadt Günzburg und dem bezirk nicht gezeigt. Im Gegenteil, das Erstarken der nationalsozialistischen Bewegung ist auch hier nicht ohne Wirkung geblieben auf die Sozialdemokratie, deren Einfluß und Bedeutung sie merklich zurückgedrängt hat. Auch das Auftreten der Sozialdemokratie ist nicht mehr so selbstherrlich wie früher, sie weiß, dass ihr Terror nicht mehr so ruhig, wie vielfach früher, hingenommen wird..." (Bericht vom 9.Mai 1923)
Weiter unten heißt es in dem Bericht:
"... Am 1.Mai (am Feiertag der Arbeiterbewegung also!) l.J. (laufenden jahres) hat die hiesige Ortsgruppe des Bundes Bayern und das reich im Zusammenarbeiten mit der Behörde (Bezirksamt und Bürgermeister) eine unbewaffnete bereitschaft zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung gegen etwaige Ausschreitungen gestellt, an der sich auch Bürgermeister Hanner und der Unterfertigte beteilligten. Auch die die Nationalsozialisten hatten sich, wie in Erfahrung gebracht wurde, in größerer Anzahl versammelt, um bei etwaigen Ruhestörungen an der Hand zu sein. Es ist erfreulich, dass hie die nationalsozialistische Arbeiterpartei ihre Bereitwilligkeit für Aufrechterhaltung der Ordnung gezeigt hat. Auf jeden Fall zeigen solche Maßnahmen einen Fortschritt gegen früher, wo die Behörden allen Eventualitäten gegenüber so gut wie allein und ohne genügende Unterstützung gegenüberstanden."
Man brauchte also eine "unbewaffnete Bereitschaft" um am ersten mai Ruhe und Ordnung aufrechterhalten zu können, und "die Behörde", sprich der Bezirksamtmann, war froh über die Unterstützung durch die NSDAP, um gegenüber "allen Eventualitäten", sprich gegenüber der organisierten Arbeiterschaft, nicht mehr "allein und ohne genügende Unterstützung" dazustehen! Zwar waren die vergangenen Feiern zum ersten Mai immer in mustergültiger Ordnung verlaufen, aber man konnte ja nie wissen. Und die NSDAP machte zwar unmißverständlich klar, dass sie den gegenwärtigen Staat total ablehne, dafür ließen ihre Redner überall "den Ton vaterländischer Gesinnung durchklingen" (Quaglia). Und war nicht ein Beamter seinem Vaterland noch stärker verpflichtet als dem Staat, diesem seelenlosen Gebilde? Nun ja, heute denken wir etwas anders darüber, heute würden Herr Dr. Quaglia kaum die weltanschaulich-geistigen Voraussetzungen für den Staatsdienst erfüllen, doch sei ihm zugute gehalten, dass er aus der Generation von Beamten entstammte, die noch ganz der "vaterländisch" - monarchistischen Tradition verbunden war.