Am 30.Januar 1933 wurde Hitler Reichskanzler. Da er über keine parlamentarische Mehrheit verfügte, wurde der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen für den 5.März angesetzt. Der letzte, kaum noch „demokratisch“ zu nennende Wahlkampf begann. Paradoxerweise fiel diese letzte große Entscheidungsschlacht um die Zukunft Deutschlands in die Faschingszeit. Am 20.Februar hielten SPD, Gewerkschaften, Arbeitergesangsverein und die anderen freien Vereine in Günzburg eine Faschingsveranstaltung ab. Das Motto lautete: „Mehr Mut!“. Galgenhumor.
Noch einmal sprach Clemens Högg aus Augsburg in der voll besetzten Turnhalle in Günzburg über das Thema „Freiheitskampf gegen Sklaverei und Reaktion“, noch einmal sprach Wilhelm Hoegner aus München im Traubenkeller über den „Freiheitskampf des deutschen Volkes“. Noch einmal marschierte die Eiserne Front. Der letzte geplante Aufmarsch in Günzburg, ein Fackelzug, wurde aber bereits vom Bezirksamt, das immer offener Partei für die Nazis ergriff, verboten. Trotz des nach dem Reichstagsbrand immer stärker werdenden Terrors der SA konnte die SPD die große Masse ihrer Wähler halten. 2626 Stimmen wurden in der Stadt und Landkreis Günzburg für die Partei abgegeben, nur 200 Stimmen weniger als im Juli 1932. Die meisten Stimmen gingen draußen auf den Dörfern, wo die einzelnen SPD-Wähler weitgehend bekannt und deshalb besonders stark dem Terror der SA ausgesetzt waren, verloren.
Hitlers NSDAP hatte zwar trotz des gigantischen Propagandaaufwands nur 43,9% der Stimmen im Reich erhalten, doch zusammen mit den Konservativen reichte es knapp für die absolute Mehrheit. Nun hielt die SA ihre Stunde für gekommen. Nun stand ihrem Terror überhaupt nichts mehr im Wege. Auch im Landkreis Günzburg.
Doch das war nur der Anfang. Wenige Wochen später folgte die erste „Verhaftungswelle“, bei der sämtliche führende Funktionäre der Günzburger SPD in „Schutzhaft“ genommen wurden. Als Otto Geiselhart Mitte März aus Berlin (er war zum zweiten Mal in den Reichstag eingerückt) zurückkehrte, wurde er auf dem Bahnhof von einem Gendarmen und einer SA Abteilung empfangen. „Haben wir dich endlich, du roter Lump!“, schallte es ihm entgegen. Er wurde ins Günzburger Amtsgerichtsgefängnis gebracht.
Doch noch war Geiselharts Widerstandswille nicht gebrochen. Als der Günzburger Kommunistenführer Benedikt Seibold einen Tag später in das gleiche Gefängnis gebracht wurde und vorübergehend in Geiselharts Zelle einquartiert wurde, trat er mit dem Kampfruf der Kommunisten: „Rotfront!“ über die Schwelle. Geiselhart antwortete mit einem trotzigen „Freiheit!“, dem Kampfruf der Sozialdemokraten.
Doch die Tage im Gefängnis gaben Geiselhart Zeit zum Nachdenken über seine Zukunft. Er hatte in Berlin gesehen und gehört, wie es bereits einigen seiner Reichtagskollegen in den Konzentrationslagern ergangen war. Er wollte nicht ins KZ, und er wollte ein Zeichen setzen. Am 18.März zog er die letzte Konsequenz und wählte den Freitod. Er gehörte zu denjenigen, die, wie Wilhelm Hoegner in seinem Buch „Flucht vor Hitler“ (S. 14) schreibt: „Einige von uns glaubten, den schmählichen Untergang unserer Millionenpartei, unserer Organisation, an denen drei Generationen deutscher Arbeiter gebaut hatten, nicht überleben zu können.“
Die Nazis aber scheuten nicht davor zurück, den Namen des Toten in den Schmutz zu ziehen, indem sie das Gerücht verbreiteten, Geiselhart habe sich Unregelmäßigkeiten in seinem Amt als Kassenverwalter zuschulden kommen lassen. Die wenige Tage später stattgefundene Revision ergab aber, dass die Kasse vollkommen einwandfrei geführt worden war. Die Todesanzeige, die im Namen der Günzburger SPD im Schwäbischen Volksblatt abgedruckt wurde, hatte folgenden Wortlaut:
„Tieferschüttert steht die freiheitlich gesinnte Arbeiterschaft von Günzburg und Bezirk an der Bahre ihres unvergesslichen Führers und Beraters
Herrn Otto Geiselharts
Kassenverwalter und Stadtrat Ehem. MdR und MdL Sein Wirken für die Armen werden wir nie vergessen.
In tiefer Trauer Die freiheitlich gesinnte Arbeiterschaft Von Stadt und Bezirk Günzburg"
Die Teilnahme am Begräbnis Geiselharts wurde bereits zu einer Mutprobe. Dennoch ließ es sich keiner der getreuen Genossen und Gewerkschaftskollegen nehmen, dem Vorsitzenden der Günzburger SPD das letzte Geleit zu geben. Das Schwäbische Volksblatt schrieb von einer „fast unübersehbaren Trauergemeinde“, unter deren Beisein die Überführung des Toten in seine Heimatstadt Burgau stattfand.