Die Revolution (1918/19), Otto Geiselhart

Der für den hiesigen Wahlkreis von der SPD aufgestellte Landtagskandidat stammte aus dem Landkreis Günzburg, er hieß Otto Geiselhart, geboren 1890, also erst 28 Jahre alt, ein relativ junger Mann für ein derartiges Amt. Aufgewachsen war Geiselhart in Burgau, gelernt hatte er den Beruf des Käsers.

Schon früh engagierte er sich gewerkschaftlich und politisch. Er gehörte als Kassier dem ortsvereinsvorstand der SPD Burgau an. Als Kriegsbeschädigter kehrte er 1917 von der Front zurück und fand bei der Ortskrankenkasse Günzburg eine neue Stelle als Krankenkassenassistent. 1922 legte er die Prüfung für den Sozialversicherungsdienst ab. Während der revolution trat er als Wortführer hervor und wurde zum Vorsitzenden der SPD im Landkreis gewählt. Geiselhart besaß eine enorme politische Begabung. Er war voller Energie, voller Ideen, eine Kämpfernatur, wortgewaltig. Einer seiner Freunde sagte über ihn: "Er war ein selbstloser, ehrlicher Genosse, der von seinen Abgeordnetendiäten sehr viel für den Ortsverein und für die Arbeitslosen und Armen tat." Geiselhart hatte natürlich - wie jeder mensch - auch seine Fehler. Gelegentlich ging sein Temperament mit ihm durch, so musste er sich z.B. einmal vor Gericht verantworten, weil er auf einer Gewerkschaftsversammlung in der Hitze des Gefechts auf eine persönliche Beleidigung durch einen Vertreter des Gesellenvereins mit einer Ohrfeige geantwortet und dadurch eine Massenschlägerei provoziert hatte. Die zweifellos bedeutenste politische Leistung Geiselharts war die Erhaltung der Einheit der Partei in unserem Landkreis. Dem aufmerksamen leser ist sicherlich aufgefallen, dass bisher mit noch keinem Wort die 1917 stattgefundene Spaltung der SPD in die Mehrheitspartei und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USDP) erwähnt wurde. Diese Spaltung hat es in unserem Landkreis nicht gegeben. Dies ist zweifellos auch mit als ein Verdienst geiselharts anzusehen, der es verstanden hat, die auseinanderstrebenden Teile der Partei zusammenzuhalten. Natürlich gab es auch im Landkreis Günzburg Spaltungstendenzen. Es gab auch hier eine gewisse Unzufriedenheit mit der SPD-Führung und der Regierung, eine gewisse Enttäuschung darüber, dass die Revolution nicht zu der angestrebten Sozialisierung der Großindustrie, zur Enteignung der skrupellosen Kriegsgewinnler geführt hatte. Zwar vertrat Geiselhart eisern und klar den Standpunkt der Mehrheits-sozialdemokratie und der Gewerkschaften, dass der Zeitpunkt einer Sozialisierung noch nicht gekommen sei und dass man gerade angesichts der hungernden Massen das riskante Experiment einer wirtschaftlichen neuordnung nicht in Angriff nehmen dürfe, deren Schwierigkeiten von vielen Befürwortern überhaupt nicht gesehen wurden. Auf der anderen Seite verfolgte er aber eine kluge Personalpolitik, die nicht darauf abzielte, die radikalen Wortführer aus der partei auszuschließen, sondern im Gegenteil diese noch fester einzubinden, sie in die Verantwortung zu nehmen, ihnen Aufgaben in der praktischen Alltagspolitik zu übertragen, in der es einfach zunächst einmal darum gehen musste, den Hunger zu bekämpfen, die Ernährungslage zu verbessern.

Bei den Wahlen zur Bayerischen Nationalversammlung zu Beginn des Jahres 1919 wurden im Landkreis Günzburg nur 30 Stimmen für die USPD abgegeben, bei der Wahl zur deutschen Nationalversammlung nicht eine einzige. Die SPD bekam 4424 (Landtag) bzw. 4144 Stimmen (Reichstag), d.h. achtmal soviel wie 1912. Dies war, auch wenn man berücksichtigt, dass nun die Frauen mitwählten, ein enormer Erfolg. Geiselhart wurde gewählt und rückte als erster Vertreter der organisierten Arbeiterschaft des Landkreises in den Landtag ein.