Die mageren und fetten Jahre der Weimarer Republik (1920 - 1928) Teil 4 Die politische Auseinandersetzung

Fragen des Einflusses auf die Jugend und Erziehungsfragen spielten auch in den Wahlkämpfen dieser Zeit eine nicht unwesentliche Rolle. Vor dem Hintergrund sozialdemokratischer Forderungen zur Schulreform (Einführung der interkonfessionellen Schule, gemeinsame Erziehung von Jungen und Mädchen) entfachte die konservative Bayerische Volkspartei (die Vorläuferin der CSU) eine demagogische Propagandakampagne, die den früheren Agitationsfeldzügen des Bayerischen Zentrums bzw. der Patriotenpartei (so nannte sich die BVP vor 1918) in nichts nachstand.

Die christliche Erziehung der Kinder sei in Gefahr, lautete ihre verleumderische Parole. Durch Verdrehungen und Überzeichnungen der sozialdemokratischen Forderungen versuchte die BVP den katholoischen Frauen und Müttern Angst einzujagen, Angst, aus der sich, so hofften sie, wahltaktisches Kapital herausschlagen ließ. Ebenso skrupellos versuchte dieselbe Partei, die religiösen Bindungen der menschen parteipolitisch auszunutzen, indem sie den gläubigen Katholiken suggerierte, es sei eine Sünde, eine andere partei als die BVP, etwa gar die SPD, zu wählen.

Das sozialdemokratische Programm sei religionsfeindlich. Das (damals gültige) Erfurter Programm der SPD verlangte in diesem Punkt lediglich die "Erklärung der Religion zur Privatsache" und die "Trennung von Kirche und Staat", die in anderen Ländern, z.B. Frankreich, längst eingeführt war. Doch die BVP verdächtigte alle und jeden als religionsfeindlich, auch den Bauernbund und die Liberalen, und als sie schließlich auch die tatsächlich religionsfeindlichen Nazis auf diese Weise anzugreifen versuchte, war dieses Argument schon viel zu abgedroschen, um noch irgend etwas zu bewirken. Nachdem schon so viele Parteien als religionsfeindlich erklärt worden waren und nichts für die Kirche Bedrohliches oder Schädliches geschehen war, glaubten viele Wähler, dass die Parolen der BVP, die die Religionsfeindlichkeit der NSDAP anprangerten, nichts anderes seien, als die üblichen Übertreibungen der BVP in diesem Punkt. Ein schrecklicher Irrtum, den diese "christliche" Partei durch ihre ständigen Verdrehungen und Übertreibungen selbst verschuldet hat.

Doch die sozialdemokratischen Wähler, die Arbeiter, ließen sich nicht irre machen. Zu offensichtlich war hier der Mißbrauch der Religion für billige parteipolitische Zwecke. Die Bemühungen der BVP gingen ins Leere. Der erhoffte Erfolg, die Arbeiter in Scharen von der Sozialdemokratie loszureißen zu können, trat nicht ein - im Gegenteil. Die SPD erreichte gerade bei der Wahl 1919 mit Abstand ihr bestes Ergebnis für die Weimarer Zeit, im Landkreis ebenso wie im ganzen Deutschen Reich.

Dass es auch ganz anders gehen konnte, ohne gehässige Polemik und verleudmerische Demagogie, zeigen die Wahlkampfauseinandersetzungen zwischen der SPD und dem Bayerischen Bauernbund in diesen Jahren. wenngleich der Bauernbund durch die SPD stärker bedroht war, als umgekehrt, haben auch die Wahlkampfredner dieser Partei nie den Boden der fairen Auseinandersetzung verlassen.

Der Bauernbund focht für die Interessen der Bauern, die SPD für die der Arbeiter. Dabei ging es vor allem um die Frage der Einführung von Schutzzöllen für landwirtschaftliche Produkte, die vom Bauernbund gefordert wurden, um dadurch die deutsche Landwirtschaft vom Druck der ausländischen Konkurrenz zu entlasten. Da Schutzzölle jedoch zu einer Verteuerung der Lebensmittel geführt hätten, stemmten sich SPD und Gewerkschaften vehement dagegen, weil dies die Lebensbedingungen der Arbeiter entschieden verschlechtert hätte. Bei aller Schärfe des Interessenskonflikts aber haben beide Parteien immer versucht den Streit ruhig und sachlich auszutragen, ohne Haß und bei gegenseitigem Verständnis für die Beweggründe der jeweils anderen Partei. Auf örtlicher Ebene, wo die Gegensätze zwischen den beiden Parteien nicht in dieser Form existierten, kam es zu fruchtbarer Zusammenarbeit und auch zu formalen Koalitionen im Gemeinderat, z. B. in dem damaligen "Industriedorf" Offingen und in der Arbeitergemeinde Bühl, wo trotz sozialdemokratischer Mehrheit ein Bauernbündler (Leonhard Roth) als Bürgermeister gewählt wurde. Auf ihn hatten sich beide Parteien vorher geeinigt. Als dann in der großen Wirtschaftskrise die Nationalsozialisten mit der Parole "Weg mit den Novemberverbrechern! Weg mit den Gewerkschaftenm!" durch die Lande zogen, beharrte der Bauernbund auf seinem Standpunkt, dass die SPD eine "berechtigte deutsche Partei" sei. Bei allem Egagement für die eigenen Interessen verkannte diese Partei niemals, dass auch die anderen Stände ein Recht auf Interessensvertretung hätten. Der Bauernbund hat auch nie gezögert, die Geschlossenheit der organisierten Arbeiterschaft als ein Vorbild für die Bauern hinzustellen, die er mit aller Leidenschaft - aber nicht minder vergeblich- zur Einigkeit aufrief. Nur wenn die Bauern sich ähnlich fest zusammenschlössen wie die Arbeiter, könnten sie ähnliche Erfolge in der Durchsetzung der bäuerlichen Belange erzielen, wie sie SPD und Gewerkschaften für die Arbeiter erreicht hätten, war die Meinung.

Wenngleich die SPD eine Arbeiterpartei war und blieb, so hat sie doch in diesen jahren versucht, neben den Landarbeitern - die schon beim Aufbau dedr Partei eine wichtige Rolle gespielt hatten - auch die Bauern, insbesondere die Kleinbauern anzusprechen und für sich zu gewinnen.

Auch wenn wegen der Interessengegensätze und der bestehenden Ressentiments zwischen den Ständen den Bemühungen der SPD in Richtung "Volkspartei", die ja in der Bayerischen SPD schon eine gewisse Tradition hatten, nur geringe Erfolge beschert waren, so war es doch richtig, auch die Bauern und kleinen Mittelständler darauf hinzuweisen, dass bei allen gegensätzen doch auch wichtige gemeinsame Interessen vorhanden waren, die - gekoppelt mit einer gewissen Kompromißbereitschaft - die Grundlage für ein tragfähiges Bündnis der "unteren Volksschichten" abgegeben hätten. Wie richtig die Bemühungen der Günzburger SPD um die Einbindung zumindest von Teilen des Bauern- und Mittelstandes gewesen waren, zeigte sich vor allen Dingen im Hinblick auf die Bekämpfung des Nationalsozialismus.