Die Entwicklung der politischen Organisation der Arbeiterbewegung in diesen Jahren verlief ganz ähnlich wie die der Gewerkschaften. Die politische und wirtschaftliche Entwicklung dieser Jahre ging auch an der SPD nicht vorbei. In der Rätezeit war es nicht nur zu einem Mitgliederzuwachs bei den bestehenden Ortsvereinen, sondern auch zur Gründung neuer Ortsvereine gekommen, so in der Stadt Leipheim und in dem großen "Industriedorf" Offinge, aber auch in zwei Landgemeinden, in Dürrlauingen und Oberwaldbach. Doch mit der Verschärfung der wirtschaftlichen Lage, mit der immer rascher galoppierenden Inflation kam es zu großen Mitgliederverlusten bei der Partei, die beiden zuletzt genannten, personell noch schwach besetzten ländlichen Ortsvereine lösten sich rasch wieder auf.
Auch bei den Wahlergebnissen bekam die SPD die Unzufriedenheit vieler Arbeiter mit der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung zu spüren. Viele wollten ihrem Protest dadurch Ausdruck verleihen, indem sie die radikalen linken Parteien USDP oder KPD wählten. Bei der Reichstagswahl 1920 bekam die SPD im Landkreis nur noch 3151 Stimmen, sie hatte dadurch gegenüber der Wahl zur Nationalversammlung im Jahr 1919 mehr als 1000 Stimmen wieder verloren. In der Euphorie der Revolutionszeit hatten sich zum teil auch eine beträchtliche Zahl bürgerlicher Wähler von der allgemeinen Stimmung mitreißen lassen und - vorübergehend - die SPD gewählt. Diese waren die ersten, die sich von der Partei wieder abwandten. Bei der Reichstagswahl im Mai 1924 erreichte die Protestwelle ihren Höhepunkt, die Zahl der der SPD Stimmen ging auf 2454 zurück, viele SPD Wähler blieben einfach zu Hause, die Zahl der KPD Stimmen wuchs auf 262 an. Die Gemeinde Denzingen wurde vorübergehend zur Hochburg der Kommunisten, die KPD konnte dort eine relative Mehrheit (42 Stimmen) vor der SPD (29 Stimmen) und dem Bauernbund (27 Stimmen) erzielen. Bei dieser Reichtagswahl konnte übrigens auch der völkische Block, der Vorläufer der NSDAP, seinen ersten großen Wahlerfolg als bäuerlich-mittelständische Protestpartei erringen. 1662 Stimmen wurden für diese Partei abgegeben, ihre Hochburgen waren in den Kleinstädten und in den beiden Landgemeinden Burtenbach und Riedheim.
schon am Ende des gleichen jahres, bei der Reichstagswahl im Dezember 1924, zeigte sich deutlich, dass eine Wende eingetreten war. Nach der Währungsreform ging es nun wieder aufwärts mit der Wirtschaft, die SPD konnte ihr Wahlergebnis wieder verbessern (3246 Stimmen), der Völkische Block verlor über die Hälfte seiner Wähler, und auch die KPD musste Verluste hinnehmen. Der Trend setzte sich bei der Reichstagswahl 1928 fort: die SPD erzielte 3305, die KPD nur noch 183 und die NSDAP nur 551 Stimmen.
Relativ unbeschadet von der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Jahres verlief das Vordringen der Arbeiterbewegung im sogenannten "vorpolitischen Raum", im kulturellen, sportlichen und geselligen leben. Die Jahre der Weimarer republik waren die Blütezeit des sozialdemokratischen vereinswesens - auch in unserem Landkreis. In allen Gemeinden mit starker Arbeiterbevölkerung wurden die "freien Vereine", die in enger verbindung mit der Arbeiterbewegung standen, gegründet. Als erster Verein seiner Art entstand schon im Jahr 1910 der Arbeitergesangsverein "Eintracht" in Ichenhausen. Neben Ichenhausen gab es auch in Bühl einen Arbeitergesangsverein und in Günzburg einen gemischten "Freien Volkschor". Daneben galt auch der Männergesangsverein "Liederkranz" in Günzburg als Arbeitergesangsverein. Freie Sportvereine gab es in Günzburg, Burgau und Bühl, in Günzburg z.B. den VfR. Der Arbeiter-radfahrerbund "Solidarität" hatte außer in Günzburg auch in Burgau, Ichenhausen, Offingen, Bühl, Scheppach und Großkötz eine Ortsgruppe. Nicht zu vergessen, der Touristenverein "Die Naturfreunde", der - wie die meisten anderen Arbeitervereine - schon in den frühen zwanziger Jahren im Landkreis, besonders in Günzburg und Bühl Fuß gefasst hatte.
Im Frühjahr 1926 wurde in einigen Orten im Landkreis das "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" ins Leben gerufen, eine uniformierte Schutztruppe, die sich den Schutz der Republik zum Ziel gesetzt hatte. ursprünglich als gemeinsame Organisation aller republiktreuen Parteien (SPD, Zentrum, Liberalen) gedacht, wurde sie bald, besonders in bayern, zu einer fas reinen SPD-Truppe, die vor allen Dingen in den Krisenjahren (1929 - 1933) als sozialdemokratischer Versammlungsschutz und als Organisation, die Ordnungsmannschaften stellte, an Bedeutung gewann. Sie galt als unmittelbare Gegenspielerin der SA. Auch bei bei den Verfassungsfeiern, die mehrmals im Landkreis abgehalten wurden, blieben die Mitglieder der SPD und der Gewerkschaften in ihrem Bekenntnis zur Weimarer Republik unter sich - die Anhänger des Bauernbundes und der Bayerischen Volkspartei vertraten eine zumindest zwiespältige, wenn nicht sogar offen ablehnende Haltung gegenüber der Weimarer Verfassung. Neben den politischen Feiern wie den Verfassungstagen und den Feiern zum Ersten Mai, die im Landkreis Günzburg 1919 zum ersten mal abgehalten wurden, hieleten die Vereine der organisierten Arbeiterschaft Jahr für Jahr zahlreiche kulturelle oder sportliche Veranstaltungen (Sängertreffen, Sportwettkämpfe, Radwanderfahrten, Theateraufführungen usw.) ab, durch die der menschliche Zusammenhalt, das Zusammensgehörigkeitsgefühl gefördert wurden und dazu beitrugen, den sorgenvollen und schweren Alltag der Arbeiter aufzulockern und zu verschönern.