Die mageren und fetten Jahre der Weimarer Republik (1920 - 1928) Teil 1 Die Arbeitnehmerschaft

Unmittelbar nach dem Kreige erlebte die freie Gewerkschaftsbewegung einen ungeheuren Aufschwung - auch im Landkreis Günzburg. Dies zeigte sich nicht nur in einem Mitgliederzuwachs bei den schon bestehenden örtlichen Fachgruppen, die Organisation dehnte sich auch räumlich aus, und sie konnte in neue Branchen vorstoßen. Als Beispiele seien nur die Gründung der Zweigstelle des Bauarbeiterverbandes in Oberknöringen (März 1919) und die Gründung eines Torfarbeiterverbandes in Burgau (April 1919) erwähnt.

Zur Verbesserung der schlagkraft schlossen sich die Günzburger Fachverbände im Februar 1919 zu einem Ortskartell unter der Führung des Metallarbeiters Leopold Vogt zusammen. Noch im gleichen Jahr konnte eine Rechtsauskunftsstelle eingerichtet werden, für die Benedikt Durach (Bühl) verantwortlich war.

Durch das im Frühjahr 1920 erlassene Betriebsrätegesetz (das einzige Überbleibsel aus der Rätezeit) bekamen die Gewerkschaften ein neues Betätigungsfeld, neue Durchsetzungsmöglichkeiten für die konkreten Interessen der Kollegen im Betrieb. Soweit überliefert konnten sich die freien Gewerkschaften bei den Betriebsratswahlen in allen größeren Betrieben durchsetzen.

Doch auch überbetrieblich kam der Kampf um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen gleich nach dem Kriege wieder voll in Gang.

Auch im Landkreis kam es zu Streiks: Im März 1920 legten die Buchdrucker in Stadt und Kreis Günzburg die Arbeit nieder, im November des gleichen Jahres folgte die Belegschaft der SBI Günzburg mit einem dreitägigen Streik. Im Februar und März 1921 streikten die Schneider in Ichenhausen, im Januar 1922 die Schreiner in 4 Ichenhausener Betrieben, im März 1922 die Maurer und Bauarbeiter in 4 Betrieben in Günzburg. Es kam auch zu politischen Streiks - neben dem allgemeinen Generalstreik während des Kapp-Putsches 1920 auch zu einem "Trauerstreik" wegen der Ermordung des Fraktionsführers der USDP im Bayerischen Landtag, Otto Gareis, durch rechtsradikale Fememörder.

Auch der neugegründete Torfarbeiterverband in Burgau versuchte die wirtschaftliche Lage seiner Mitglieder und der Kollegen zu verbessern. Die Löhne gerade in diesem Berufszweig lagen besonders niedrig. Wenngleich es gelang, Lohnerhöhungen durch einen Tarifvertrag abzusichern, so konnten es sich doch die örtlichen Torfwerksbesitzer doch erlauben, den Tarifvertrag einfach nicht einzuhalten: Es gab genug Bauern in der Umgebung, die bereit waren, als Saisonarbeiter für untertarifliche Bezahlung zu arbeiten. So wurden nicht selten, gerade in der noch schlecht organisierten Landarbeiterschaft, schon erkämpfte Fortschritte durch mangelnde Solidarität wieder zunichte gemacht.

Mit der Zeit wurde ganz allgemein die Situation für die Gewerkschaften immer schlechter. In den Jahren 1922/23 begann die Inflation zu galoppieren. Am 1.November 1923 mussten für einen Dollar eine Billion Reichsmark bezahlt werden, und das war noch lange nicht das Ende. In dieser Situation wurde es für die Gewerkschaften immer schwieriger, durch die herkömmlichen Mittel die Lage der Arbeitnehmer zu verbessern. Viele Gewerkschaftsmitglieder verließen ihre Organisation. Viele der sozialpolitischen Verbesserungen der revolutionszeit, wie z.B. der Achtstundentag, blieben auf der Strecke. Erst nach der Geldwertstabilisierung durch die Einführung der Rentenmark ging es wieder aufwärts.

Die Jahre 1924 bis 1928 brachten einen Wirtschaftsaufschwung. Wenn von den "goldenen Zwanzigern" die Rede ist, so sind vor allen Dingen diese Jahre gemeint. Auch für die Arbeitnehmerschaft kamen wieder bessere zeiten, wenngleich viele Sorgen und Nöte bestehen blieben.

Dass die Unternehmerseite zum Angriff übergegangen war, bekamen 1928 nicht nur die Metallarbeiter an der Ruhr ("Ruhreisenstreik"), sondern auch die Schneider in Ichenhausen zu spüren. Vom 27.8. bis zum 25.9.1928, also fast einen ganzen Monat, wurden die 119 Arbeiter in zwei Ichenhauser Betrieben von der Betriebsleitung ausgesperrt - als Antwort auf die Forderung nach Lohnerhöhung durch den Schneiderverband. Doch gelegentlich konnten die Arbeitnehmer auch schon wieder zum Gegenangriff übergehen. In einer Günzburger Baufirma legten die Arbeiter aus Protest gegen die 55-Stunden-Woche für 8 Tage die Arbeit nieder. Bei der Stilllegung der Burgauer Kammfabrik im Juni 1924 wollte die Betriebsleitung die Belegschaft von einem Tag auf den anderen auf die Straße setzen. Der Betriebsrat (Xaver Braun, Martin Walburger u.a.) wandte sich jedoch an die Regierung von augsburg, und so gelang es ihm, zumindest die Einhaltung der Sperrfrist zu erzwingen.

Es waren schwere Jahre für die Arbeiterbewegung. Die freien Gewerkschaften konnten nur allmählich ihren Mitgliederstand stabilisieren, und erst um das jahr 1928 wurde wieder ein Aufwärtstrend sichtbar. Bei der Jahreshauptversammlung des Gewerkschaftsvereins Günzburg am 12.2.1928 wurde der gegenwärtige Mitgliederzahl auf über 500 beziffert - vor acht Jahren hatte sie bei etwa 1000 gelegen.