"Streiflichter zur Geschichte der Arbeiterbewegung im Landkreis Günzburg - von den Anfängen bis 1945" von Stan Zofka
Um die Jahrhundertwende geriet auch im Landkreis Günzburg die Arbeiterschaft in Bewegung. An allen Orten, wo genügend Arbeiter wohnten, bauten sie örtliche Gewerkschaftsorganisationen auf und gründeten Ortsvereine der Sozialdemokratischen Partei. Sie begannen sich zusammenzuschließen, sie organisierten sich, um gemeinsam für bessere Lebensbedingungen in wirtschaftlicher wie auch in politischer Hinsicht zu kämpfen.
Eine der ersten Hochburgen der Arbeiterbewegung im Landkreis Günzburg war die Gemeinde Bühl. Das ist nicht schwer zu verstehen, wenn man die Geschichte dieser Gemeinde kennt. Die Ortsherrschaft von Bühl, die Herren von Osterberg, begannen im 18. Jahrhundert die Ansiedlung von "Leerhäuslern" zu fördern. Dies waren meist die nachgeborenen bauernsöhne, die kein Haus erbten und daher auch keinen familienstand gründen konnten und die hier ein kleines Haus, manchmal auch ein kleines Stück Grund, aber nicht das Gemeinderecht bekamen. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt meist als Tagelöhner und Dienstboten im Dienst der Herrschaft oder auch als Handwerker. 1835 gab es in Bühl über 60 Leerhäuser gegenüber 33 älteren Anwesen mit Gemeinderecht. Die wirtschaftlichen Folgen der napoleonischen Kriege bekam auch die Ortsherrschaft von Bühl zu spüren, es kam zum Bankrott, wodurch die Bühlerv Leerhäusler ihre Arbeitsplätze verloren. Da es zu dieser Zeit kaum andere arbeitsmöglichkeiten und keine Sozialunterstützung gab, mussten die ohnehin verarmten Leerhäusler vom Hausierhandel oder vom Bettel leben, bis durch die Industrialisierung in erreichbarer Nähe neue Arbeitsplätze geschaffen wurden.
Kein Wunder, dass die Ärmsten der Armen, die von ihrer Umwelt vielfach verachtet wurden - bezeichnenderweise bringt die Bezeichnung "Hungerleider" weniger Mitgefühl als gesellschaftliche Verachtung zum Ausdruck- sich am frühesten der Sozialdemokratie zuwandten. So wurde Bühl zur ersten Gemeinde im Landkreis in der die SPD bei den Reichstagswahlen die Mehrhreit der in diesem Ort abgegebenen Stimmen erhielt (ab 1907) und so wurde auch in Bühl der Versuch unternommen, einen Verein von sozialdemokratischen Gleichgesinnten ins Leben zu rufen.
Schon im Krisenjahr 1893 hatte die SPD 31 der 65 in Bühl abgegebenen Stimmen zur Reichstagswahl erhalten. Im selben Jahr meldete der schneider Meinrad Schleier die Gründung eines "Friedensvereins" beim Bezirksamt an und legte die Statuten zur Genehmigung vor. Als Ziel des Vereins wurde angegeben: "Die Förderung der friedlichen Verständigung zwischen den Völkern." Zu dieser Zeit, als die bürgerliche Gesellschaft und die von ihr beeinflusste Öffentlichkeit in den höchsten Tönen von "Deutschlands Weltgeltung" schwärmte und nach noch mehr Kolonien rief, war die pazifistische Haltung der Bühler Arbeiter bemerkenswert. Die staatliche Obrigkeit reagierte auch konsterniert und schnell war ein Formfehler in den Statuten gefunden um die Vereinsgründung hinauszuschieben. Das Bezirksamt, die Behörde, die in damaliger Zeit dem Landratsamt entsprach, hatte den neuen Verein sofort als politischen Verein eingestuft und entsprechend streng geprüft, ob in der Satzung auch keine Verstöße gegen das Vereinsgesetz enthalten seien. Das damalige Bayerische Vereinsgesetz mit seinem "Affiliationsverbot" (Verbot der überörtlichen Kontaktaufnahme von Vereinen) hatte es schon vor 1878, also vor den Sozialistengesetzen, möglich gemacht unliebsame politische Vereine wie SPD- oder Gewerkschaftsvereine zu verbieten. Dieses Gesetz war auch in der Zeit nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes in Kraft und traf so auch die Bühler Vereinsgründung. Als die Bühler Arbeiter nach drei Jahren immer noch kleine Genehmigung ihrer Statuten erhalten hatten, gaben sie vorläufig auf. Nach der Jahrhundertwende, als das Affiliationsverbot seine Bedeutung verlor und die Bildung von politischen Vereinen generell leichter wurde, konnte in Bühl ein Ortsverein der SPD gegründet werden.
Dem Gründungsvorstand gehörten an: